eine Kritik zu Huling Palabas
2001 in Roblon, einer kleinen Inselprovinz auf den Philippinen. Der 16-jährige Andoy (Shun Mark Gomez) steht vor den letzten Prüfungen seiner Schulzeit, was mit vielen Veränderungen in seinem Leben einher geht. Um so mehr genießt er die letzte Zeit mit seinem besten Freund Pido (Bon Andrew Lentejas). Täglich holt Pido Andoy mit seinem rot-braunen, rostigen Fahrrad von der Schule ab und sie fahren zum nächsten Filmverleih des Ortes, um Stunden damit zu verbringen sich die Filmbeschreibungen der VHS-Kassetten durchzulesen und zu überlegen welche Filme sie wohl ausleihen und abspielen würden, wenn sie nur einen VHS-Player hätten. Fast jeden Abend gehen die beiden zu einem Freund, der in seinem Haus auf seinem kleinen Fernseher Filme zeigt. Die Filme geben Andoy Ablenkung vom Alltag und gleichzeitig Raum für die Fragen und Themen, die den Teenager beschäftigen. Schafft es seine Mutter zu seiner Abschlussverleihung zu kommen, die in einem anderen Ort lebt und arbeitet, um Andoy ein gutes Leben zu ermöglichen? Wie wird die Zeit nach der Schule, wenn Andoy für das College wegzieht und Pido nicht mehr jeden Tag sieht? Warum weiß Andoy immer noch nicht, wer sein Vater ist, der nach Erzählungen verflucht ist und im Wald lebt? Könnte er ihn finden und erkennen, wenn er ihn im Wald suchen gehen würde? Was will Andoy überhaupt von seinem Leben und was macht ihn aus?
In seinen Träumen sieht Andoy immer wieder seinen Vater als große, mystische Figur, und sein Drang die Fragen nach seinem Vater und ihm selbst zu beantworten wird immer größer. Als Andoy und Pido auf dem Weg nach Hause Isidro (Cedrick Juan) kennenlernen – einen großen, langhaarigen Mann, der in das Haus seiner Eltern gezogen ist und auch abends Filme auf seinem VHS-Spieler zeigt – fühlt sich Andoy direkt verbunden zu Isidro und hat kurz sogar den Gedanken, dass dieser ja sein Vater sein könnte. Zur gleichen Zeit kreuzt sich auch Andoys weg mit Ariel (Senanda), einer charismatischen Person, die einen kleinen Haarsalon besitzt und und auch Isidro zu kennen scheint. Andoy verbringt immer mehr seiner Zeit bei den beiden, gleichzeitig verändert sich auch die Freundschaft zwischen ihm und Pido. Nach und nach findet Andoy seinen Weg sowie Antworten darauf wer er eigentlich ist, und sein Weg wird fast selber zu einem Film auf VHS.

„Huling Palabas“ nimmt das Publikum sanft und ruhig in die Gefühlswelt einer heranwachsenden Person auf, die mit der Hilfe der Menschen um sich herum sich selbst und die eigene Identität findet. Während der Film Genres wie Coming of Age, Melodrama, Komik und auch ein bisschen Fantasy und Mystik vermischt, werden viele systemkritische und relevanten Themen eingewoben ohne sich in den Vordergrund zu drängen oder gezwungen zu wirken: die wirtschaftlich schlechte Lage vieler Familien, psychischer Druck und Gewalt in der Familie, sogar die Kolonialisierung durch Europa und die USA der Philippinen durch die geschaffene Metapher der Verfluchten. Viele dieser Themen sind so tief und unterschwellig in den Film mit eingebracht, dass sie erst beim erneuten Reflektieren oder durch das Publikumsgespräch überhaupt auffallen, wodurch „Huling Palabas“ auf jeden Fall eine Zeit in Erinnerung bleibt und zum Nachdenken anregt.
Besonders gelungen und erfrischend findet in meinen Augen die Queerness der Charaktere Platz – ohne großen Fokus darauf zu legen existiert sie einfach. Wie der Regisseur und Drehbuchautor Ryan Machado, der selber als queere Person in Roblon aufwuchs, im Publikumsgespräch verrät, wollte er mit „Huling Palabas“ eine Welt schaffen, die ohne Diskriminierung funktioniert, ohne Mikroaggressionen im Alltag. Und das gelingt ihm unfassbar gut. Ohne die Queerness der Charaktere direkt anzusprechen können sich die Charaktere frei entfalten; Probleme, Ängste und Diskriminierung, die in vielen anderen queeren Filmen in den Mittelpunkt der Handlung gestellt werden, werden nicht thematisiert, die Akzeptanz und das freie Ausleben werden als selbstverständlich gesehen. Dadurch fühlt sich „Huling Palabas“ wie ein Safer Space an, in dem sich Andoy, aber auch alle Zuschauer:innen frei erkunden und entfalten können und sich gesehen fühlen.
Durch die warmen Sepiafarben und die ruhige Kameraführung, die häufig kleine Details in den Fokus stellt, strahlt „Huling Palabas“ in den meisten Momenten eine einladende und sichere Stimmung aus, die den Safer Space noch verstärken. Untermalt wird das häufig mit ruhiger Klaviermusik und Bildern einer schöner Landschaft, während Andoy und Pido mit dem Fahrrad über die Feldwege schlendern.
Zwischendurch hat „Huling Palabas“ definitiv seine Längen – gerade zu Anfang frage ich mich, wo der Film eigentlich genau hin will, auf was er hinausläuft. Besonders die Traumszenen, in denen Mystik und Realität verschmelzen, sind teilweise etwas anstrengend, komisch und brechen aus der sonst so ruhigen und wohligen Stimmung aus. Diese unangenehmen, teils eigenartigen Szenen werden aber schnell wieder von herzerwärmenden und schönen Szenen abgelöst. Und den Anspruch auf etwas hinauszuwollen scheint „Huling Palabas“ auch gar nicht zu haben, der Film ist vielmehr ein Ausschnitt eines jungen Menschen auf seinem Weg sich selber und seine zwischenmenschlichen Beziehungen zu erkunden.
„Huling Palabas“ ist definitiv ein sehenswerter Film, der zwischendurch vielleicht etwas anstrengend ist, aber nach dem Einlassen auf die Erzählweise insgesamt eine unfassbar gut geschaffene Geschichte mit Mehrwert ist und lange im Gedächtnis bleibt.
Während der Berlinale könnt ihr „Huling Palabas“ noch am Donnerstag (22.02.) um 10:00 im HKW (Miriam Makeba Auditorium) oder am Freitag (23.02.) um 15:45 im Cubix 8 sehen.
