Die Kontur der Eisschollen

Eine lyrische Kritik zum Kurzfilm Anngeerdardardor von Christoffer Rizvanovic Stenbakken.

danish version below

Anngeerdardardor
ist das grönlandische Wort für Dieb – vielleicht ein so langes,
weil dem Land so viel geraubt wurde.
Ein Junge sucht und sucht nach seinem Hund.
Er weiß, dass Schlittenhunde nicht gleich aussehen,
genauso wie Eisschollen nicht gleich aussehen,
kann er sehen, dass das Meer, imaq, zugefroren ist
und der Hund Welpen bekommen soll, damit er Schlitten fahren kann.

Aber auf welchem Eis wirst du fahren, Kaali, wenn das Meer nicht mehr zufriert?
Wenn die Sonne – Anngeerdardardor, wenn der Kapitalismus – Anngeerdardardor,
wenn der Kolonialismus und der Machtkampf der westlichen Länder das Eis geschliffen
und dein Land aufgebraucht haben.

Wenn das Licht wechselt von weiß zu blau,
es noch hell ist
und nur der Farbwechsel verrät, dass es Nacht wird,
hört man eine leises Flüstern:

Ich will nicht allein sein.

Unmöglich zu sagen, woher die Worte kommen
vom Jungen
vom Hund
oder vom Eisberg gegenüber der Siedlung.

Anngeerdardardor
er det grønlandske ord for tyv – måske så langt et ord,
fordi landet er blevet berøvet så meget.
En dreng leder og leder efter sin hund.
Han ved, at slædehunde ikke ser ens ud,
ligesom isflager ikke ser ens ud,
kan han se at havet, imaq, er frosset til,
og at hunden skal få hvalpe, så han kan køre i hundeslæde.

Men hvilken is skal du køre på, Kaali, når havet ikke fryser til længere?
Når solen – Anngeerdardardor, når kapitalismen – Anngeerdardardor,
når kolonialismen og de vestlige landes magtkamp har slebet på isen
og opbrugt dit land.

Når lyset skifter fra hvidt til blåt,
det stadig er lyst,
og kun farvernes skiften fortæller, at det er ved at blive nat,
kan man høre en svag hvisken:

Jeg vil ikke være alene.

Umuligt at sige om ordene kommer fra
drengen
hunden
eller isbjerget over for bygden.

  • Liv Thastum

    Liv Thastum, *1997 in Berlin, beendet zurzeit den Master Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus. Sie war unter anderem für die Medien Litradio, Pfeil&Bogen und die dänische Zeitung Arbejderen tätig. Seit 2013 schreibt und leitet sie die Freien Generation Reporter:innen. Ihre deutschen und dänischen Texte wurden in Anthologien und Zeitschriften veröffentlicht und mehrfach ausgezeichnet. 2024 wurde sie für den 32. Open Mike nominiert und war Preisträgerin des WORTMELDUNGEN Förderpreises.

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