Die selbsternannten Künstler*innen

Eine Kritik zu UMIBE È IKU MICHI – SOMMERLICHE ZUFÄLLE

Eine schwarze Katze, eine Maklerin, eine Meerjungfrau und eine Pfeife in Form eines Kanarienvogels. So zusammenhangslos diese Dinge auf den ersten Blick scheinen, so zusammenhangslos bleiben sie auch den gesamten Film über. Viele Geschichten, viele Figuren und am Ende weiß man nicht mehr wirklich, wer wer ist. Aber das macht nichts. Dieser Film benötigt keine Stringenz, kein klassisches von Vorne bis Hinten und erst recht kein vollkommenes Auserzählen jeder Handlung. Er wird der Fantasie der Zuschauer*innen überlassen.

Wir befinden uns in Japan, in einer Stadt am Meer, irgendwo zwischen Fiktion und Realität. Es ist heiß, es sind Sommerferien und sowohl für die Einwohner*innen als auch die Besucher*innen des Küstenstädtchens bedeutet das: Zeit für die Kunst! Ob bei der Kunstausstellung der Schule, einem stillen Tanz durch die gesamte Stadt oder dem Kunstmarkt am Strand. Immer und überall werden die Figuren mit irgendeiner Form von Kunst konfrontiert. Inmitten dieses Spektakels existiert der Mittelstufenschüler, und Protagonist des Films, Sosuke, der diesen Sommer viel Zeit und noch viel mehr zu tun hat. Sosuke ist interessiert, fleißig und allem voran kreativ.  Sein Talent für die Kunst, seine Hingabe und seine Geduld wird auch von den Menschen um ihn herum wahrgenommen. Da ist der Künstler, der ihn sofort mit einem Projekt beauftragt, sein Freund, ebenfalls ein aufstrebender junger Künstler, der Sosuke in seinem Schaffen unterstützt und seine Mutter Sumiko, die ihn sich schon als erfolgreichen Künstler ausmalt. Doch der Junge selbst lässt sich nicht beunruhigen von den wilden Visionen und den chaotischen Machenschaften der Erwachsenen um sich herum. Sowie auch seine gleichaltrigen Mitmenschen, bleibt Sosuke ganz bei sich, bei seinen Projekten, seinen Interessen und legt dabei eine beneidenswerte Leichtigkeit an den Tag. Mit Freude an der Sache springt er von einem Kunstwerk zum Nächsten, produziert Ideen, als gäbe es kein Morgen mehr und zieht genau daraus seine Kraft und Inspiration, um weiterzumachen. Die Faszination, mit der man den Protagonisten beobachtet, wird getragen von dem jungen Darsteller Konosuke Harada, der diesen besonderen Jungen mit seiner bemerkenswert natürlichen Darbietung und seiner Detailverliebtheit zum Leben erweckt.

So wie die erfrischend episodenhaft gestaltete Geschichte und das charmante Spiel der Darsteller*innen zieht einen auch die optische Umsetzung des Films in den Bann. Wie es eine Figur in der Mitte des Films so feinfühlig sagt: „Die sommerliche Stimmung geht verloren, wenn die Farben zu dunkel sind.“ Dies nimmt sich der Film selbst ganz besonders zu Herzen. Schon ab der ersten Sekunde wird man von den starken, leuchtenden Farben eingesogen und an einen utopischen Ort katapultiert. Beeindruckende Architektur, Pflanzen überall, ein tiefblaues Meer und eine unerschütterliche Sonne. Nicht verwunderlich, dass dieser Film einem Manga entsprungen ist. Ein malerischer Ort voll Poesie. Die manga-hafte Stimmung spürt man. Sieht man. Etwas abgewichen vom Originalwerk, etwas weniger nostalgisch, dafür zeitloser. Hier wurde die Substanz verstanden und mit anderen Mitteln nachgeahmt. Eine Mimesis, von der auch im Film so oft die Rede ist.

Der Ort wird von einer besonderen Gemeinschaft, einer interessanten Ansammlung an Individuen belebt. Erwachsene, die in willkürlichen, urkomischen Themen versinken und junge Menschen, die energisch ihren Willen verfolgen. Allesamt durch sommerliche Zufälle miteinander verbunden. Doch es sind die Kinder, die die Stadt in Farbe tunken. Die Kinder, die die alles umgebende Kunst schaffen und die Kinder, die der Kunst weiterhin ihren Glauben und ihr Vertrauen schenken.

Dieser Film übermittelt die Relevanz von Kunst auf eindringliche und doch intelligent leichte Art und Weise. Denn obwohl das künstlerische Schaffen stetig auf der Leinwand zu sehen ist, wird man sich dessen Rolle erst so richtig bewusst, als Sosukes Tante Megu, die zu Beginn erwähnte Maklerin, die Aussage trifft, sie lebe ein Leben ohne Kunst. Erst in diesem Moment weitet sich der Blick der Zuschauer*innen vollständig, für die Kunst um sie herum. Für die Wichtigkeit von Kunst in dieser auf der Leinwand existierenden Utopie, sowie für die eigene, reale Welt. Dieser Film ist eine Hommage an die Kunst. An die Künstler*innen. Und ein Plädoyer fürs weitere Kunstschaffen. Er stellt die Frage nach einer Philosophie der Kunst. Was eine solche überhaupt ist? Was wahre und was nicht wahre Kunst ist und inwiefern die Beantwortung von Relevanz ist. Und er findet einen simplen, aber genialen Ansatz. Man macht Kunst, weil man sie machen will und wenn man Künstler*in sein will, muss man sich selbst ernennen. Sosuke ist einer von ihnen.

  • Livia Palupski

    Livia fasziniert die Kraft des Kinos. Wie es Individuen zusammenbringt, Lebensrealitäten sichtbar macht und den Fokus für 1 1/2 Stunden aus der Selbstzentriertheit zwingt. Sie liebt die Perspektive aus dem Kinosessel. Das stille Zuschauen und den lauten Diskurs danach. Darum ist sie hier mit dabei.

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