Eine Kritik zu Only on Earth von
Sarah & Liv
Knisternd und brodelnd züngeln die Flammen um die Feuerwehrkräfte herum. Die Winde treiben das Feuer immer weiter an, es schlägt meterhoch aus. Ein Mann in einem Bagger schiebt Erdmassen auf, um eine natürliche Barriere gegen das Feuer zu schaffen — und fährt dabei immer wieder direkt in die Flammen. Feuerwehrkräfte sind zu Fuß zwischen den einzelnen Brandherden unterwegs und versuchen sie ohne Wasser zu löschen — das Löschfahrzeug ist noch nicht da. Die Szenerie ist tieforange und verraucht.
Only on Earth zeigt gewaltvolle dokumentarische Szenen direkt aus den Waldbränden in Galizien, verdeutlicht die rohe, unnachgiebige Zerstörungswut der Flammen. Eine der stärksten Aufnahmen ist die anschließend verkohlte, schwelende Landschaft. Ein Bild, das sich einbrennt.
Neben den Waldbränden geht es um die Gemeinschaft vor Ort und die Beziehung zu den Wildpferden, der größten frei lebenden Herde Europas. Was in der Filmbeschreibung als eine liebevolle Koexistenz beschrieben wird, stellt sich in dem Film ganz anders dar. Die lokale Gemeinde treibt die sichtlich panischen Wildpferde zusammen, die verzweifelt versuchen ihrem Schicksal zu entgehen. All das um ihnen die Mähne zu scheren, eine Tradition aus Zeiten, in denen das Haar noch für Bettdecken genutzt wurde. Die Weiterverwendung der Haare ist heute laut der Regisseurin „leider“ nicht mehr der Fall. Dennoch: Die tierquälerische Tradition hält an. Ich, als zugegebenermaßen städtische Person, sitze verstört im Kinosaal. Im Publikumsgespräch wird klar, dass die Regisseurin keinerlei kritische Perspektive hierzu einnimmt, im Gegenteil diese romantisiert.

Problematisch an der Darstellung dieser Szenen ist aus meiner Sicht vor allem die fehlende Kontextualisierung der Praxis des Pferdetreibens. Wenn ich diese Szenen sehe, möchte ich verstehen, warum diese kulturelle Praxis wertvoll ist. Ich möchte die Stimme der Menschen hören, für die sie Bedeutung hat. Stattdessen sehen wir (viel später im Film) einen Tourist Guide während einer Bustour das Thema in zwei Sätzen abhandeln.
Bei einer so oberflächlichen Verhandlung bleibt das Verständnis für die mit Hingabe gezeigte gewaltvolle Behandlung der Tiere auch bei mir aus. Hier ist ein Hauptproblem des Films zu erkennen. Der Ansatz des Filmes ist ein Dokumentieren, in dem die Regisseurin so unsichtbar wie möglich bleibt. Den Protagonisten sollen keine direkten Fragen gestellt werden. Die Beziehung Regie-Dokumentiertes soll ausgeblendet werden. Der Versuch ist erkennbar: eine Gleichstellung zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren soll hergestellt werden. Doch leider scheint die Stimme der Regisseurin durch die gesetzten Bilder und teils gestellt wirkenden Gesprächsanlässe doch sehr stark durch. Die Position des dokumentierenden Menschens wird hier nicht mitreflektiert. Bei einem Film, der als anthroprozän-kritisch gelabelt ist, hatte ich eine solche Reflektion der eigenen Position jedoch erwartet.
Zudem fällt es schwer, eine Bindung zu den Menschen vor Ort aufzunehmen, da sie auf Weisen handeln, die nicht unbedingt im Einklang mit der Natur zu stehen scheinen – Feuerwehrmänner rauchen im brandgefährdeten Gebiet, Kinder pulen Rinde von Bäumen. Es ist eine Herausforderung, wenn man sich selbst in Dokumentationsfilmen komplett aus der Narrative zieht. Dann müssen Andere sowie die Bilder für einen sprechen. In Only on Earth hat man jedoch das Gefühl, dass durch die Abwesenheit einer Erzählstimme die Botschaft völlig unklar wird. Was wollte die Regisseurin uns vermitteln? Ein liebevolles Porträt der Menschen vor Ort? Oder doch auch eine kritische Auseinandersetzung mit deren Handeln? Eine kritische Einordnung des Klimawandels ist es jedenfalls nicht.
Das zeigt sich auch durch die unzusammenhängenden Bilder. Erklärungen für einzelne Situationen werden teils gar nicht oder erst 20 Minuten später gegeben. Gerade wenn es spannend wird, beispielsweise in einem Radiointerview mit einem Feuerwehrmann, gibt es einen Cut und wir springen zu einer gänzlich anderen Szene. All das verstärkt das Unverständnis gegenüber der gezeigten Gemeinschaft.
Eine mögliche Antwort darauf hat uns die Regisseurin vielleicht im Publikumsgespräch gegeben. Sie wollte ursprünglich einen Film über die Wildpferde drehen, doch dann sind erschreckend starken Waldbrände ausgebrochen. Nun wollte sie mehr Themen verhandeln als ursprünglich geplant. Gleichzeitig war der Ansatz Ausdrucksmittel zu finden, die nicht-menschliche Protagonisten mit den Menschen gleichstellen. Bei allem Respekt für die Beschäftigung mit dieser wichtigen Thematik ist das Resultat im Kontext der Anthropozän-Kritik leider eher eine oberflächliche Collage geworden, als die von der Berlinale groß angekündigter klimakritische, neue Filmsprache.
Im Gegenteil finde ich die Bildsprache, mit der die Waldbrände dokumentiert werden, hoch problematisch. Dem Zuschauer werden hier gewaltvolle Bilder eines Waldbrandes in hochästhetisierter (und ohne Frage kunstvollen) Form präsentiert. Die Regisseurin und ihre Kamerafrau wagen sich weit in die Flammen, um die faszinierendsten Shots des Feuers zu schießen. Ich finde darin keinen neuen, kreative Darstellung des Klimawandels, vielmehr erinnern mich die Bilder stark an die von Medien instrumentalisierte Darstellung von Zerstörung. Ich möchte rufen: “Leg die Kamera weg, lösch das Feuer da vor dir.” Ich muss das nicht sehen, um Mitgefühl mit meiner Umwelt zu spüren. Nicht so. Ein konsequent anthropozän-kritischer Ansatz wäre für mich gewesen, den Wald und die Gewalt, die in seiner Zerstörung liegt, ernst zu nehmen, zu respektieren und nicht für die Kamera auszuschlachten.
Alles in allem ein Film, der leider hinter seinen Möglichkeiten bleibt. Die beeindruckende Kameraarbeit und die Beschäftigung mit dem Ort hätten großes Potential, eine kohärente Erzählung über die akute Bedrohung der Waldbrände zu ergeben. Letztendlich wird dieses Ziel verfehlt. Junge Stimmen werden kaum gehört, weswegen die Einordnung in die Sektion KPlus fraglich ist. Zudem ist eine gewaltvolle, unkommentierte Perspektive auf die Dominanz der Menschen gegenüber der Tierwelt vielleicht nicht das, was wir heutzutage noch zelebrieren und der Jugend vermitteln möchten.
Wir finden das diesjährige Generation Programm hat andere Filme zu bieten, die sich auf sehr viel sensiblere und gelungenere Art und Weise mit der Beziehung zwischen Mensch und Natur auseinandersetzen.
Wen diese Thematik interessiert, möchten wir deshalb gerne die Filme
ZHI WU XUE JIA
VILLAGE ROCKSTARS 2
und BENEATH WHICH RIVERS FLOW
ans Herz legen.
