Eine Kritik zu Ran Bi Wa
Schemenhafte Waldstriche, grauweiße Schneelandschaften und eine abenteuerliche Reise, die Suche nach dem geheimnisvollen Heiligen Berg.
„Ran Bi Wa – A Story About Fire“ ist eine poetische Fabel über einen Affenjungen – Ran Bi Wa – und seinen treuen Gefährten, den Wolf Doggie. Gemeinsam ziehen sie los, das Geheimnis der Wärme zu lüften und verfolgen dabei die Spur von Ran Bi Was Mutter Awubaji, die sich Jahre zuvor auf dieselbe Suche machte. Doch bevor sie am Heiligen Berg angelangen, müssen sie viele Gefahren durchstehen und Herausforderungen bewältigen. Währenddessen wird ständig zwischen den zwei Erzählebenen gewechselt, denn in einer Art Déjà-vu-Sequenzen werden Parallelen zu Awubajis Reise gegengeschnitten, die viele Erlebnisse schon vor Ran Bi Wa und Doggie ähnlich durchlaufen hat.
Dieses Erzählkonzept beziehungsweise die Rahmenhandlung erschließt sich jedoch erst nach und nach beim Schauen des Films, wenn überhaupt. Wenn „Ran Bi Wa“ eines nicht tut, dann dem Publikum alles bequem und ausführlich zu erklären. Vielmehr lässt der Film viel Raum – sehr viel Raum – für Fragen und eigene Interpretation, man fragt sich oft nicht nur „Was passiert gerade?“ sondern auch: „Was sehe ich gerade?“ Das ermöglicht schließlich eine Art Aha-Moment im letzten Viertel des Films, hier schließt sich der erzählerische Bogen.
Vor allem bei Kindern, dem eigentlichen jungen Zielpublikum des Films, dürfte die Erzählweise und der Film als Gesamteindruck allerdings einige Fragen aufwerfen – was nicht zuletzt eine Stärke des Films ist. Umso wichtiger ist es darum aber bei diesem Film, den Kindern nach dem Schauen des Films den Raum zu geben, sich über diese Fragen auszutauschen. Erst im Gespräch werden viele Elemente des Films mehr Sinn ergeben und allein kann man die ganzen Details, die im Film versteckt sind gar nicht aufnehmen, gemeinsam schon. Wer war die Frau im Wald? Was war das für ein Schattenmonster? Und wieso hatte die Höhle plötzlich Zähne? Das sind alles Fragen, die man sich vielleicht stellt, wenn man gerade aus dem Film kommt.
Trotz diesem unkonventionellen Storytelling und schnellen Sprüngen ist die Handlungsebene nicht (immer) unbedingt im Fokus: Der Animationsfilm lebt vor allem auch von seiner sehr besonderen Ästhetik. Die impressionistische Tinten-Animation begleitet Ran Bi Wa und Doggie dabei sehr fantasievoll auf ihrer Reise, und so ist es keine Ausnahme wenn zwischendurch zum Beispiel durch flüssig ineinander übergehende Tiermetamorphosen auf poetische Weise eine Tierwelt des Überlebenskampfes und der Evolution dargestellt wird.
Während die Farben vor allem zu Anfang des Films sehr gedeckt, kalt und blass ausfallen stellen farbenfrohere und lebendigere Kolorierung mit teils kaleidoskopischen Spiralen, escheresquen Mustern und fantastischen Traumwelten einen noch größeren Kontrast dar und illustrieren die Freude der Hauptfiguren, nachdem sie ein Hindernis überwunden haben.
Durch den spärlichen Dialog (im Grunde zwei erzählende Voiceovers, die Stimme von Ran Bi Wa und die Stimme von Awubaji) nimmt auch Musik und Sounddesign eine viel bedeutendere und oft erzählende Rolle ein: In dramatischen Momenten begleiten Sichuan-Trommeln und eine traditionelle Qiang-Flöte zum Beispiel die feurige Szenerie.
Der Film basiert nämlich tatsächlich auf einer alten Sage der Qiang, einer chinesischen Minderheit die in den Bergen im Südwesten des Landes lebt. Man könnte es als eine Art Alternative zum Prometheus-Mythos betrachten, den letztendlich steht Ran Bi Wa für den Entdeckergeist der Menschen, er erlangt das Feuer und stellt damit die Weichen für eine zukünftige menschliche Zivilisation.
Dabei verfolgt der Regisseur Li Wenyu allerdings einen unkonventionellen Erzählansatz – der Geschichte wird durch acht Kapitel (von I. Dschungel bis VIII. Nirvana) zwar eine abstrakte Struktur verliehen, die überlappenden Erzählstränge und symbolischen Andeutungen brechen aber immer wieder Erwartungen. Und mit Doggie fügt der Regisseur der traditionellen Sage sogar noch eine zentrale Figur hinzu, die von seinem eigenen Hund inspiriert ist.
Insgesamt ist das Filmerlebnis recht beeindruckend: Ran Bi Wa und sein Freund Doggie haben eine charmante Situationskomik und gehen ohne Worte sehr liebevoll miteinander um. Schwächen in der Erzählung wiegt der Film durch die unglaubliche Ästhetik auf, dabei ist die Stärke des Films auch, nicht alles auszuerzählen. Man könnte nun sagen, dass diese komplexe Konzeption des Films für ein junges Publikum überfordernd sein kan – ich glaube dennoch, dass es sehr wertvoll ist, diese Verwirrung aber auch den Raum für eigene Ideen und Interpretation den Kindern zuzutrauen, deswegen empfehle ich den Film nicht (wie auf der Berlinale-Website) erst ab 12, sonder schon für 10- oder 11-jährige.
Letztendlich ist „Ran Bi Wa“ kein klarer Favorit für mich dieses Jahr, aber ein spannender Beitrag, der zur Vielfalt des Programms beiträgt und auf jeden Fall einen Kinobesuch wert ist!
„Ran Bi Wa“ läuft noch zweimal auf der Berlinale:
Freitag, 21.02.25, 19:15h (Cubix 6)
Samstag, 22.02.25, 12:45h (Filmtheater am Friedrichshain)
