„Sprich lauter, ich kann dich nicht hören!“ – mit Hilfe von Kurzfilmen die Welt besser verstehen

Eine Kritik sowie Hintergrundartikel zu den Kurzfilmen 2 Kplus

Diese Kurzfilmrolle ist, abgesehen von einer Ausnahme, eine in sich sehr stimmige Zusammenstellung starker Filme, die es schaffen, schwierige soziale, politische und auch historische Themen und Inhalte für jüngeres Publikum zugänglich und zumindest emotional verständlich zu machen. Im Stil sind sie sich alle recht ähnlich, auch wenn aus den verschiedensten Ecken der Welt berichtet wird. Sie alle zeigen Kinder mit einer Prise Naivität für ihre Realität und bleiben dabei jedoch immer auf Augenhöhe, es sind Momentaufnahmen ihres Alltags, Geschichten aus dem Westen des Irans, aus dem Amazonas in Peru, aus Brasilien, aus Frankreich, den Niederlanden und aus Algerien. Es gibt zwar Unterschiede in der Glaubwürdigkeit des Schauspiels, in „En Route“ beispielsweise spüre ich (anders als in „El Sghayra“), dass die Regisseurin (so im Q&A) die beiden Kinder viel hat improvisieren, miterzählen und sie selbst sein lassen, doch allen Kindern kann ich gut in ihrer Geschichte folgen und sie verstehen. Nur der französische Film „Un Diable Dans La Poche“ fällt aus dem Ganzen raus, er ist zwar schön gezeichnet beziehungsweise animiert, hätte meiner Meinung nach aber aufgrund seiner Brutalität an ein älteres Publikum gerichtet werden müssen, zusätzlich war er im Vergleich zum Inhalt der anderen Filme recht bedeutungslos.

Während ich glaube, dass die Lebensrealitäten und Gefühle der Protagonisten das Publikum gut erreichen, ist mir nicht ganz klar, wie verständlich die konkreten Hintergründe des Inhalts sind. Auch bin ich mir nicht sicher, ob „El Silencio Del Rio“ zu metaphorisch berichtet, aber in der Vergangenheit habe ich gelernt, Kinder nicht zu unterschätzen und so denke ich, dass die meisten den Inhalt schon verstanden haben werden. Theoretisch hilft ja auch das Q&A nach dem Screening beim Klären von Fragen, heute war dieses zwar sehr unstrukturiert, aber die ein oder andere Sache konnte trotzdem genauer erläutert werden. Auch eine Diskussion der Filme mit den größeren Kinobesuchern oder mit Lehrer*innen kann helfen! Falls es bei dem einen oder der anderen trotzdem noch Unklarheiten geben sollte – ich habe an dieser Stelle zu einigen der Kurzfilme Hintergrundwissen recherchiert, sodass ihr nochmal nachlesen könnt.

Ansonsten bleibt mir nur, das Screening der Kurzfilme 2 noch einmal zu empfehlen, das letzte Screening ist am Sonntag, den 01.03. um 11 Uhr im Cubix 8.

Hintergrund zu „En Route“:
Zwar zählt die Niederlande mit zu den reichsten Ländern der Welt (Platz 15 auf der Liste der Länder nach Gesamtvermögen), doch sind die Besitztümer ungleich verteilt und 10 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze(1). Zur Kinderarmut hat Unicef eine spannende Studie aufgestellt (unten verlinkt!), nach dieser leben 6,1 Prozent der Kinder in den Niederlanden unterhalb der Armutsgrenze, in Deutschland sind es sogar 8,5 Prozent. Natürlich gibt es Länder, in denen das noch viel schlimmer ist, aber es wichtig, dass es ein Bewusstsein dafür gibt (so auch die Regisseurin Marit Weerhijm), dass auch in Industrieländern Kinder vor Armut geschützt werden müssen.

(1)Armutsgrenze: Bezeichnet das Einkommen eines Menschen, liegt es unter dieser Grenze, so reicht es nicht aus, um alle lebensnotwenigen Dinge erwerben zu können. Der Begriff ist ein Versuch Armut in Zahlen ausdrücken zu können. Laut der Weltgesundheitsorganisation gelten Menschen, die nur 50 Prozent des errechneten Durchschnitteinkommens eines Landes besitzen als arm.

„El Sghayra“:

Zwischen 1960 und 1966 führte die französische Regierung Kernwaffentests in Algerien durch. Zwar erlangt Algerien 1962 die Unabhängigkeit(1), doch wird in dem Friedensvertrag unter anderem festgelegt, dass Frankreich für weitere 5 Jahre seine Nukleartestanlagen in der Sahara benutzen darf. 1961 wurden absichtlich 300 Soldaten der radioaktiven Strahlung ausgesetzt, um deren Wirkung auf den Menschen zu untersuchen, ansonsten gibt es keine offiziellen Zahlen zur Betroffenheit und zu Spätfolgen bei Zivilisten. Schätzungen zufolge waren 150.000 Militärangehörige und zivile Angestellte an den Tests beteiligt. Das Erblinden der Protagonisten wird von dem Lichtblitz verursacht, der bei einer Atomexplosion entsteht, er ist mehrere tausend Grad heiß und führt bei Betrachten aus Entfernung zu Augenverletzungen. Die Karte zeigt, wo überall auf der Welt Kernwaffentests durchgeführt wurden.

(1)Algerien erlangt am 18. März nach fast 8 Jahren Krieg (Algerienkrieg) gegen Frankreich mit den Verträgen von Envian seine Unabhängigkeit. Davor stand das Land unter der Kolonialherrschaft Frankreichs. Die Geschichte Algeriens ist sehr komplex, folgender Link umreißt zumindest die Konflikte um die Unabhängigkeit: https://www.deutschlandfunk.de/grosse-reden-charles-de-gaulle-ich-habe-euch-verstanden.795.de.html?dram:article_id=390473

„The Kites“:
Der Film spielt im Westiran an der Grenze zum Irak. In dem Bereich liegt das östliche Siedlungsgebiet der Kurden(1). Während im Irak kurdisch neben arabisch Amtssprache ist, so ist die Amtssprache im Iran nur persisch. Kurdisch wird in der Schule nicht gelehrt und im Iran teilweise aktiv unterdrückt und somit haben die Jungs im Film anfangs Schwierigkeiten, die Sprache zu identifizieren und die Situation zu verstehen. 1980 begann der erste Golfkrieg, er endete erst nach 8 Jahren und kostete rund 1 Million Menschen das Leben. Es kämpften der Irak (mit Unterstützung von den USA, der Sowjetunion, Saudi-Arabien und Kuwait) gegen den Iran, es ging um territoriale Vorherrschaft, vor allem um über erdölreiche Gebiete bestimmten zu können. Auch religiöse Spannungen zwischen Sunniten(2) und Shiiten(3) und der Widerspruch beider Staatsideologien, Panarabismus(4) gegen Panislamismus(5), spielten eine Rolle. Die Minen, die eine Gefahr für die Kinder darstellen, stammen aus dieser Zeit, sie wurden immer noch nicht alle entschärft.

(1)Kurden sind eine ethnische Volksgruppe, die auf 35 Millionen Menschen geschätzt wird, denen aber kein Siedlungsgebiet zugesprochen wird. Oftmals sind Kurden und ihre Sprache sowie Kultur Opfer von Repression, Verfolgung und Diskriminierung. Zudem gibt es religiöse Spannungen zwischen sunnitischen Kurden und schiitischen Iranern. Einzig im Irak sind Kurden politisch autonom.
(2)größte Glaubensrichtung im Islam, der Irak ist überwiegend sunnitisch (3)zweitgrößte Glaubensrichtung im Islam, Staatreligion des Irans
(4)die Idee, alle Araber in einem großen Nationalstaat zu vereinen, mit der arabischen Sprache als Grundlage, damals Ideologie des Iraks
(5)die Idee, alle Muslime in einem islamischen Staat oder Kalifat zu vereinen, damals Ideologie des Irans

Bildquellen: https://www.berlinale.de/de/programm/programm/detail.html?film_id=202004790#gallery_gallery-filmstills-3
https://ourworldindata.org/uploads/2013/08/ourworldindata_nuclear-explosions-around-the-world-since-1945.jpg
https://de.wikipedia.org/wiki/Armutsgrenze
Quellen: https://www.humanium.org/de/niederlande/
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_L%C3%A4nder_nach_Gesamtverm%C3%B6gen
https://www.unicef.de/blob/9298/c7cd8eee86d075a119b7fe104abf0728/rc-10-kinderarmut-reiche-laender-zusammenfassung-2012-pdf-data.pdf
https://de.wikipedia.org/wiki/Algerienkrieg#Friedensabkommen_und_Unabh%C3%A4ngigkeit
https://de.wikipedia.org/wiki/Franz%C3%B6sische_Kernwaffentests_in_Algerien
https://www.frieden-fragen.de/entdecken/atomwaffen/welche-folgen-hat-der-einsatz-von-atomwaffen.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Schia
https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/212301/erster-golfkrieg
http://www.refugeesathome.net/html/iran.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Kurden#Iran

28.02.2020, Carlotta Saumweber

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