Morgen wird ein langer Tag

A review of Míng tian bi zuo tian chang jiu

Ein Leben geprägt durch Insektenvernichter und den ganzen Tag andauernde Arbeitszeiten führt Chua. Ein Leben geprägt durch Anpassungszwang und Gewalt führt sein Sohn Meng. Wo der eine versucht, seine Meinungen in die Tat umzusetzen und am Ende an Migrationsgesetzen scheitert, gibt sich der andere dem Gruppenzwang hin und passt sich an. Beide handeln gegen ihren Willen, beide bereuen es, beide werden danach nicht mehr dieselben sein. Und das sehr weit getrennt voneinander. 

Diese Sektion ist immer für Überraschungen gut. Das dürfte wohl kein Geheimnis sein. Jumbo in 14plus, Sweet Thing in Kplus; Míng tian bi zuo tian chang jiu würden wohl die wenigsten Festivals in ihre Jugendsektion stecken. Zu aussichtslos, zu rätselhaft wirkend durch einen sehr unerwarteten Wechsel im Ton. Vielleicht auch schlicht einfach zu langsam. Worin die einen hier einen Mittagsschlaf oder schlicht ein Training für die Aufmerksamkeitsspanne sehen, behaupte ich, wir haben es hier mit dem Geheimtipp der Sektion, vielleicht des ganzen Festivals zu tun! 

(https://www.berlinale.de/de/presse/pressematerial/stills-generation.html#lb222090-3
Míng tian bi zuo tian chang jiu ist ein Film, der Tränen entlockt und sie dann selbst wegwischt. Der sich die ganze Zeit auf beschwerendem Weg bewegt und diese Atmosphäre mit seinem unerwartet ambivalenten Ende fast wieder vollständig auflöst. Der sich nicht scheut, Stimmungen innerhalb von Sekunden verändern und aufzulösen. Bereits nach etwas mehr als der Hälfte wechselt der Film nicht nur das Setting, sondern auch Atmosphäre und viele Charaktere aus. Es fühlt sich an, als wäre das erste Kapitel abgeschlossen. Das erste von zwei. „Tomorrow is going to be a long day“, damit wird Meng auf das, was geschehen wird, vorbereitet. Eine bessere Aussage hätte es nicht treffen können. Die zweite Hälfte des Filmes funktioniert dabei genau durch diesen Bruch so gut. Sie wirft einen aus der Bahn und lokalisiert einen dann neu, woanders, wannanders und vor allem mit anderen Gefühlen. Generell ist es erstaunlich, wie gut exakt die Wechselwirkung aus den beiden entgegengesetzten Hälften funktioniert. Dramaturgisch ist das dadurch fernab von Konventionen (selbst von den „Konventionen“, die in dieser Sektion öfters zu beobachten sind) und dadurch noch mehr bewegend. Auf eine ruhige und zugleich stürmische Weise. 

(https://www.berlinale.de/de/presse/pressematerial/stills-generation.html#lb222090-1)
Míng tian bi zuo tian chang jiu bewegt sich dabei auf unerforschtem Territorium. Ein Coming of Age Film in der Jugendsektion eines Filmfestivals, welcher sich der großen Meister des langsamen asiatischen Kinos (Joe & Tsai) bedient– mit dem Begriff anspruchsvoll sollte in dieser Sektion vorsichtig umgegangen werden, aber selten habe ich einen Film hier gesehen, der seine junge Zuschauerschaft (immerhin spielt der Film ja in der Jugendsektion) so sehr herausfordert, dabeizubleiben. Für mich funktioniert das hervorragend, ich liebe diese Art von langsamer Erzählweise, die von Alltag erzählt; mit einem Hauch von magischem Realismus. 
Doch bereits im anschließenden Gespräch mit ebenfalls Freie Generation Reporter:innen-Kontributor Konstantin zeigte sich, dass sich spätestens bei der Notwendigkeit einer derartig langsamen Erzählweise die Gemüter spalten werden. Und das ist auch absolut verständlich. Míng tian bi zuo tian chang jiu braucht vor allem eines: Nachbereitungszeit. Ich bezweifle, dass dieser Film als Teil eines strikt getakteten Berlinale Tagesplans sehr gut funktionieren wird. Denn das hier ist ein Film, der komplett aufgenommen werden muss und nicht leicht verdaut werden kann. Für den sich Zeit genommen werden muss. Ein Film, den man um 12 Uhr mittags schaut, und abends noch nachdenklich ist. Denn das hier ist Berlinale at its best.
18.02.23, Yaron

  • Yaron

    Filme sind meine Leidenschaft seit ich denken kann. Und die Berlinale ein jährliches Event seit mehreren Jahren. Gerade die Filme in Generation sind immer für Überraschungen gut, also mal sehen was dieses Jahr so auf uns zukommt!

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked with *