Kalles Kosmos

A review of Kalle Kosmonaut

Ich möchte was erreichen, nicht so wie die am Alex.

Ein Junge, Kalle, sitzt unter einem Baum und denkt darüber nach, was er mit seinem Leben anfangen möchte, wo er seine Zukunft sieht. Doch Kalle hat es nicht so gut wie andere Kinder oder Jugendliche in seinem Alter. Er kommt aus einem sozial eher schwach aufgestelltem Umfeld, die Mutter lange Zeit alleinerziehend, muss viel arbeiten, um das Leben der beiden finanzieren zu können. Seine Heimat sind die rohen Plattenbauten am Rande Ostberlins. Hier wird berlinert, Kleidung von der Straße aufgeklaubt, die Zeit nach der Schule größtenteils draußen auf der Straße verbracht.

© Günther Kurth

Über 10 Jahre fängt die Dokumentation von Tine Kugler und Günther Kurth das Heranwachsen von Kalle ein. Wie er bereits als 10-Jähriger Aussagen trifft wie “Hauptsache man hat etwas zu essen und ein Dach überm Kopf”, über seine Pubertät, in der Erfahrungen wie die erste Beziehung, Freundschaften oder die Jugendweihe sein Leben prägen, aber auch ein Satz seines Vaters, dass er ein Ghettokind sei, ihm nachhaltig im Gedächtnis bleibt; bis hin zu einer folgenschweren Tat, die sein Leben verändert.

All dies wird ruhig von der Kamera begleitet. Mal geben Kurth und Kugler Kalle eine Frage, die er zu beantworten sucht, mal beobachten sie ihn einfach, fangen ein, wie es ihm geht, geben ihm Raum. Zu jeder Zeit respektvoll und authentisch. An Stellen, an denen die Erzählung nicht ausreicht, untermalen sie die Handlung mit künstlerisch passenden Animationen.
Ergänzend zeigen sie die anderen Perspektiven der Familie auf. Die Mutter, die sich fragt, ob es ihr vorzuwerfen sei, dass sie so oft nicht da war, um ausreichend Geld zu verdienen, um sie und ihren Sohn zu versorgen. Die sich doch auch nur eine bessere Zukunft für ihren Sohn wünscht. Die Oma, die ihre Lebensrealität lange Zeit durch Alkohol zu betäuben suchte und jetzt endlich darüber hinweg ist. Der Opa, der als Wende-Verlierer dasteht, es sich seit dem Mauerfall nicht mehr leisten konnte, Berlin zu verlassen.
Die Dokumentation baut eine Verbundenheit zwischen Zuschauenden und Kalle auf, während wir ihn dabei begleiten, wie er reflektiert über seine Erfahrungen spricht, versucht sich zu bessern und aus diesem Kreis auszubrechen.

Kalle Kosmonaut ist ein “Coming of Age” Film der anderen Art. Er ist brutal ehrlich und zeigt auf, dass es Chancengleichheit eben doch nicht gibt. Dass es nicht reicht pfiffig zu sein, sondern wir letztendlich doch alle Opfer unserer Umstände sind. Die Dokumentation zeichnet ein vielschichtiges Bild des Heranwachsens eines Jungen, das mal geprägt ist von Hoffnung, in Momenten, in denen es scheint, als würde nun alles gut werden, nur um die Zuschauenden anschließend wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzubringen.
Kalle Kosmonaut berührt und verbittert, wirft zurecht Fragen über die Gerechtigkeit unseres Gesellschaftssystems auf. Doch ist der Film teils auch leichtfüßig und humorvoll, bringt die Zuschauenden zum Schmunzeln.

Ein sehr sehenswertes Porträt eines jungen Mannes, der doch eigentlich immer alles richtig machen wollte.

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Weitere Screenings auf der Berlinale:
Do. 17.02. 12:00 Uhr CinemaxX 1+2
Sa. 19.02. 09:30 Uhr Filmtheater am Friedrichshain

14.02.2022, Sarah Gosten

  • Sarah

    Bereits als Kind besuchte Sarah mit ihrer Mutter und Schwester gemeinsam die Berlinale. Seitdem ist Berlinale Generation ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Im Rahmen des Berlinaleprojekts "Junge Journalisten" konnte sie erste Festivalluft schnuppern. 2013 gründete sie mit weiteren Berlinaleenthusiast:innen die freien Generation Reporter:innen. Außerhalb der Berlinale studiert Sarah aktuell im Master in Aachen, spielt E-Bass in einer Band und geht wahnsinnig gerne bouldern.

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