Zusammen gegen das Böse der Welt

Sweet Thing handelt von der innigen Beziehung zwischen zwei Geschwistern, die ihren Umständen ausgeliefert sind und schnell lernen müssen, in ihnen zu bestehen.
Zunächst verfolgen wir Billie (Lana Rockwell) und ihren kleinen Bruder Nico (Nico Rockwell) in ihrem Alltag mit ihrem alleinerziehenden Vater. Anfangs ist die Beziehung zwischen Vater und den Kindern sehr liebevoll. Der Vater bemüht sich, ein passendes Geschenk für Billie zu besorgen und bereitet ihr mit der Ukulele viel Freude, sie haben Spaß zusammen. Recht schnell jedoch zeigt sich die Schattenseite. Sobald er etwas getrunken hat, verwandelt er sich in eine andere Person, ein Monster. Dann sinkt er nachts grölend vor der Haustür zusammen, wird zum Teil sogar gewalttätig. Als der Vater in die Entzugsklinik kommt, werden die Kinder bei der ebenfalls alkoholkranken Mutter und ihrem furchtbaren neuen Freund untergebracht. Von hier wird es nur noch schlimmer. Doch in Malik, dem Nachbarsjungen, finden sie einen Verbündeten.

Gemeinsam bestehen Billie und Nico (und bald auch Malik) gegen das Böse in der Welt, das in diesem Film viel in Form von Alkoholabhängigen dargestellt wird. Ob der Vater, die Mutter oder der neue Freund der Mutter: Sie alle verwandeln sich in Monster. Doch muss hier differenziert werden. Während der Vater noch das Beste für seine Kinder möchte, es in seiner Abhängigkeit allerdings einfach nicht schafft, steht die Mutter vor dem neuen gewalttätigen Freund nicht einmal für ihre Kinder ein. Dieser treibt es schließlich in seinem perversen und abartigen Verhalten den Kindern gegenüber auf die Spitze.
Das Publikum ist angewidert, empört. Es spürt nur allzu deutlich, wie ausgeliefert die Kinder diesen Personen sind. Es ist schwer mitanzusehen, dass solch intelligente Kinder in solchen Umständen gefangen sind.

© Lasse Tolbøll

Stilistisch zeichnet sich der Film durch seine munteren Wechsel in Farben aus, was gut gelöst ist. Während der Großteil in schwarz-weiß gehalten ist, spielt Regisseur Alexandre Rockwell mit der Inszenierung von Träumen in Farbe. In diesen Träumen ist für kurze Zeit alles wunderbar, sie sind bunt und mit anderen kinematographischen Effekten versehen, bis die Realität wieder über Billie hinwegwischt, sie einholt und alles wieder in schwarz-weißen Farben versinkt. Alles, wirklich alles, scheint in ihrem Leben schiefzugehen.
Doch das ist leider auch ein bisschen der Haken. Es ist ein bisschen zu viel. (Fast) jede erwachsene Person, denen sie begegnen, möchte ihnen in irgendeiner Art etwas Böses. Die letzte dieser Auseinandersetzungen übertreibt es leider ein wenig. Dies hätte nicht Not getan.

Die Musik, die verschiedenste bekannte Persönlichkeiten dem Regisseur freiwillig für den Film zur Verfügung stellten, erscheint etwas willkürlich. Sie stimmt mit den gezeigten Bildern teils nicht überein. Auch die künstlerischen Effekte, die hin und wieder eingestreut werden, wirken nicht konsistent. Mal ist es eine runde Blende, anschließend werden auf einmal Sprüche auf der Leinwand eingeblendet oder die Bilder verwabern. Der Versuch, sich stilistisch auszutoben, ist zwar schön, doch funktioniert es in Kombination mit der zusammengewürfelten Musik leider nicht. Hätten weniger dieser stilistischen Mittel Verwendung gefunden, wäre es noch abgerundeter gewesen.

Abgesehen von den stilistischen Feinheiten handelt es sich jedoch um einen sehr eindrücklichen Film. Die Zuschauer*innen werden in den Bann gezogen, fiebern mit Billie und Nico mit, die von Anfang an die Herzen des Publikums erobern. Die Ungerechtigkeit und das Unheil der Welt bricht über ihnen und somit auch dem Publikum zusammen. Dennoch lässt der Film nicht völlig bedrückt zurück. Er bildet auch die schönen Seiten ab und zeigt, dass es auch wieder aufwärts geht. Zudem schafft „Sweet Thing“ es, die Ambivalenz des Alkoholismus einzufangen. Es ist eine Sucht, eine Krankheit. In seinen guten Momenten verbringt der Vater eine wunderschöne Zeit mit seinen Kindern, in den schlechten macht er ihnen das Leben zur Hölle. Trotzdem verurteilen die Beiden ihn nicht. Sie wissen, dass er es nicht so meint. Sie spüren, dass niemand sich so sehr um sie sorgt wie er. Trotzdem ist es unglaublich schwierig für sie, diese Liebe für den Vater mit dem übereinzubringen, was er ihnen antut.

Das Thema des Films, die Abhängigkeit von Kindern von ihren Eltern und die schlimmen Folgen, die es haben kann, wenn Eltern ihren Pflichten nicht gerecht werden, ist ungemein wichtig und berührt, hat mich aber durch die stilistischen Ungereimtheiten nicht voll und ganz überzeugt. Was nicht heißt, dass ich ihn euch nicht ans Herz lege. Sehenswert ist der Film auf alle Fälle! Nicht zuletzt durch die wunderbare schauspielerische Leistung von Billie und Nico, die auch im echten Leben Geschwister (und unglaublich sympathisch) sind. Im Kplus Programm ist der Film aufgrund seiner Thematik jedoch nicht richtig aufgehoben.

28.02.2020, Sarah Gosten
  • Sarah

    Bereits als Kind besuchte Sarah mit ihrer Mutter und Schwester gemeinsam die Berlinale. Seitdem ist Berlinale Generation ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Im Rahmen des Berlinaleprojekts "Junge Journalisten" konnte sie erste Festivalluft schnuppern. 2013 gründete sie mit weiteren Berlinaleenthusiast:innen die freien Generation Reporter:innen. Außerhalb der Berlinale studiert Sarah aktuell im Master in Aachen, spielt E-Bass in einer Band und geht wahnsinnig gerne bouldern.

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