Volle Fahrt voraus

Im Berliner Hafen herrscht reges Treiben. Die Segelboote werden für die anstehende Regatta, die viele auch liebevoll als Festival bezeichnen, klarschiff gemacht. Die Besatzungen rufen sich gegenseitig zu. Sind alle Taue und Segel überprüft? Haben wir genug Proviant? Funktioniert das Radio? Unser Schiff, die kleine fGR, ist fast aufbruchbereit. Sanft wiegt sie sich auf dem Wasser. Im Schatten ihres benachbarten Mutterschiffs Generation wirkt sie klein, aber beide Besatzungen wissen, dass sie sich auf dem Wasser nicht aus den Augen verlieren werden. 

Während meine Teammitglieder ihren Aufgaben nachgehen, sitze ich in der Kajüte vor einem leeren Dokument und suche nach dem ersten Satz. Seit unserer Jungfernfahrt zur 63. Berlinale vor nun schon 11 Jahren habe ich einige Eröffnungsartikel geschrieben. Was es nach all der Zeit noch Neues zu sagen gibt? Scheinbar so einiges.

Der Countdown zu jeder Berlinale fühlt sich gleich und doch vollkommen anders an. Denn Veränderungen gibt es jedes Jahr, sowohl in der Gestaltung des Festivals, nicht zuletzt der Bestimmung des Kurses, als auch in unseren Privatleben. Wer kann schon von sich behaupten, die gleiche Person wie vor knapp einem Jahr zu sein? Auch die gleiche Streckenführung, die exakt gleiche Berlinale würden wir alle heute mit neuen Augen sehen. Ganz andere Momente würden uns berühren, bewegen, inspirieren.

Genauso fühlt sich auch dieses Jahr alles gleich und doch so anders an. Auf die bestmögliche Art und Weise. Während ein Teil unserer Besatzung aus der alten Crew besteht und wie immer kurz vor der Regatta zusammengekommen ist, um alles schnellstmöglich in die Wege zu leiten, weht nun ein komplett neuer Wind in unserem Team. Über viele Jahre war es unserer Erstbesatzung ein Anliegen, das Steuer in jüngere Hände zu geben – sind wir nun mit 24 bis 26 Jahren doch nicht mehr ganz die Zielgruppe der Sektion Generation und unseres eigenen Projektes. Es gab immer wieder neue Gesichter mit neuen Perspektiven, verschiedene Taue lagen in verschiedenen Händen, doch ein Übergang ist uns bisher nicht wirklich gelungen. Offensichtlich, schließlich schreibe ich hier ja immer noch munter vor mich hin.

Dieses Jahr scheinen wir diesem Wunsch jedoch zum ersten Mal mit vollen Segeln entgegenzufliegen. Die neue und enge Kooperation mit Generation hat uns neue Häfen eröffnet, uns mit neuen Segeln und Tauen ausgestattet, uns Zugang zu neuen Crewmitgliedern ermöglicht. Während ein guter Teil unserer Taue von einem Teammitglied gehalten wird, das nun schon seit einigen Jahren bei uns aktiv ist, haben wir dieses Jahr einen großen Zuwachs an Jugendlichen, die vor eigenen Ideen und Motivation nur so zu sprießen scheinen. Aus den verschiedensten Ecken sind sie an Bord gekommen, teils aus der letztjährigen Jugendjury, teils über Freund:innen, teils durch die Social Media Präsenz, die uns vom Generationsteam ermöglicht wurde. Manche werden zum ersten Mal in See stechen, andere freuen sich, aufs Meer zurückzukehren. Als deutlich älteres Mutterschiff verfügt Generation über Ressourcen, die wir auf unserem Schiff nicht haben. Und seit das Steuer des Nachbarschiffs in den Händen von Sebastian Markt und Melika Gothe liegt, profitieren wir auf ganz neue Weisen davon.

Seit unserer Jungfernfahrt hat die kleine fGR die verschiedensten Regatten erlebt. Manchmal stand der Wind günstig, manchmal war der Kurs geprägt durch Flauten oder Unwetter. Manchmal gaben wir ihr einen neuen Anstrich, manchmal stach sie unverändert in See. Einige Crewmitglieder suchten ihr Glück woanders, andere kamen hinzu. Von der schäbigen Jolle der ersten Regatta ist nun kaum noch etwas zu erkennen, so gut ist unsere beständige Jacht mittlerweile ausgerüstet. Noch kein Großsegler wie die Generation, aber das war auch nie unser Anspruch. 

© Steve Cyr

2024 scheinen die Voraussetzungen besser denn je. Jedes Tau scheint besetzt, die Kommunikation funktioniert, sowohl innerhalb des Teams als auch per Funk mit dem Mutterschiff Generation. Alle freuen sich auf die anstehende Regatta. Neues Equipment zur Dokumentation liegt schon bereit. Mikrofone für die ersten Podcasts, Kameras und Handys für neue Videoformate. Während die Urgesteine den Aufgaben nachgehen, die sie seit der ersten Regatta erfüllen, bringen die neuen Mitglieder ihre eigenen Segel an, kümmern sich selbstständig um deren Taue und blicken dem anstehenden Abenteuer strahlend entgegen.

Während die Erstbesatzung weiterhin mit einer Hand am Steuer steht, sehen wir gleichzeitig das Potential, das sich auf der kleinen fGR tummelt. Das Schiff scheint so viel größer als je zuvor. Alle bringen ihren eigenen Wind, ihre eigenen Segel und Taue, um unser Schiff durch die Berliner Meere fliegen zu lassen. So werden wir Manöver durchführen, die wir uns vor wenigen Jahren nicht getraut hätten, auf die wir selbst nicht gekommen wären. 

Was mein eigenes Segel füllt? Freude, mit dieser neuen Besatzung durch die Berlinale zu segeln. Leichtigkeit bei dem Gedanken, endlich wieder die Gischt im Gesicht zu spüren, lebendig zu sein. Und Hoffnung. Hoffnung, dass die nun gar nicht mehr ganz so kleine fGR auch in vielen Jahren noch segeln wird, wenn ich mich längst an anderen Ufern aufhalte. Aber bis dahin sehe ich der 12. Regatta auf unserem Schiff entgegen und muss lächeln, wenn ich an die kommenden Abenteuer denke, die ich mir heute noch gar nicht ausmalen kann.

  • Johanna

    Johanna, 24, has been going to Berlinale with her sister since childhood. 2013 she co-founded the Free Generation Reporters. When she's not writing about films within the Generation program and their backgrounds, she sings in a choir and reads one book after the other. Other than that she's pursuing a Master's degree in Nutritional Medicine.

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