Einfach loslassen – Ein Blick hinter die Kamera von "Where we Belong"

Der Schweizer Dokumentarfilm „Where we belong“ berührt das Publikum der diesjährigen Berlinale. Es ist eine einfühlsame, sinnliche Begegnung mit fünf Kindern, die offen über die Trennung ihrer Eltern erzählen. Die starke Bildsprache und einfühlsame Kameraführung des Filmes beeindrucken mich. Deshalb freu ich mich sehr, nach dem Screening des Filmes den Kameramann des Filmes – Nikolai Von Graevenitz zu treffen und ihm einige Fragen über die Kameraarbeit und Ästhetik des Filmes stellen zu können. Wir setzten uns an einen der kleinen Tische in der Lounge des Zoopalastes. Nikolai bestellt sich ein Glas Weißwein, ich rücke meine Papiere zurecht. Dann kann es losgehen.

Wie ist die Zusammenarbeit zwischen dir und Regisseurin Jacqueline Zünd entstanden?
Ach, wir kennen uns schon lange. Den ersten Film haben wir vor 12 Jahren gedreht. Der hieß „Goodnight nobody“ und ging über Menschen die nicht einschlafen können – überall auf der Welt. Unsere Vorstellung von Bildsprache und Ästhetik passt einfach gut zusammen. Wir sind oft ein Drei-Leute-Team: Regie, Ton und Kamera. Das schränkt einen zwar ein, aber es ist gut in der Arbeit beschränkt zu sein. Während der Zusammenarbeit bei Dokumentarfilmen muss man loslassen können – die Regie muss loslassen können. Es geht viel um gegenseitiges Vertrauen.  

 Wie viel kreativer Freiraum wurde dir als Kameramann in dieser Produktion gelassen? Bei einer Dokumentation ist ja oft wenig im voraus gesetzt.
In „Where we belong“ haben wir vorher darüber geredet was inhaltlich interessant wäre und dann überlegt welche Plätze für die jeweiligen Protagonisten interessant wären, welche Ort die Kinder bewegen. Also zum Beispiel: „Lass uns heute mit den Mädchen zum Strand gehen“. Wenn wir dann am Strand sind, dann bin ich mit den Kindern zusammen, dann muss die Jacqueline einfach loslassen, dann mach ich das. Sie greift vor allem später im Schnitt wieder ein.  

Da bist du dann raus? oder wie sieht der cutting process aus?
Meistens macht Jacqueline einen Rohschnitt und dann komm ich nochmal dazu, weil ich natürlich auch jedes Bild im Kopf habe und dann sagen kann „wir hatten doch noch diese eine Sequenz…“  

„Where we belong“ hat eine sehr intensive und ästhetische Bildsprache. Oft verschmelzen unscharfe Bilder harmonisch mit der Musik des Filmes. Was hat dich dazu bewegt diese verschwommenen Sequenzen einzufangen?

Wenn man was filmt, dann kann man ja immer einen bestimmten Fokus setzten. Man muss sich entscheiden. Wo legst du die Schärft hin? Ist alles scharf oder nicht? Ich finde es immer schön, wenn das Bild aus der Schärfe austritt. So wie Gedanken die kommen und gehen. Die sind ja auch nicht immer ganz scharf. Außerdem mag ich es, wenn sich im Dokumentarfilm Bilder und Musik sich gegenseitig tragen und Atmosphären entstehen. Dann kann sich jeder selbst in den Momenten öffnen.  

Wie ist denn die tolle Musik zum Film entstanden?
Wir hatten vorher eine Idee in welche Richtung es gehen sollte, was es für eine Tonalität wir wollen. Dann ist der Schweizer Musiker Thomas Kuratli dazu gekommen und hat mit Jaquline die Musik auf Bild komponiert.  

Während ich den Film gesehen habe sind mir die vielen Nahaufnahmen aufgefallen. Nacken, Haare, Arme und die Haut der Kinder hast du in den Fokus gesetzt. Kannst du erklären warum?
Ich mag es nah an die Protagonisten zu gehen und nur partielle Dinge wie Ohren oder Finger zu zeigen. Weißt du, wenn man jung ist dann hat man noch ganz feine Haut und diese feine Haut sagt viel über das Thema des Filmes, die Trennung von Eltern, aus. Junge Haut ist sehr empfindlich, sie ist sensibel und sie hat noch nicht so viele Verletzungen von der Umwelt, von Beziehungen erlitten. Es ist wichtig nah bei den Kindern zu sein. Als Dokumentarkameramann weiß man manchmal gar nicht genau was man macht, weißt du. Es geht viel von Gefühlen aus. Es ist eine Begegnung.  

                                                                         Filmstill aus „Where we belong“ 

Du hast auch Erfahrung als Kameramann in andern Filmgeren. Wo ist der Unterschied zwischen einer Arbeit wie dieser und den anderen Formen?
Ich habe Kinodokumentar, Kinospielfilme und auch ein Paar Fernsehproduktionen gedreht – Werbung auch. Jedes Genre ist komplett anders. Beim Dokumentarfilm muss aus ganz wenig so viel wie möglich machen. Im Spielfilm ist die Vorbereitung ein großer Teil. Die Arbeit ist sehr unterschiedlich, aber man nimmt immer etwas was für das andere Genre mit und wird stärker. Man baut Ängste ab und weiß, dass man die Bilder lenken kann, auch wenn man einfach loslässt und im Moment ist.  

Im Moment sein, den Fokus verschieben, loslassen. Das klingt alles ganz leicht, wenn Nikolai Von Graevenitz das sagt. Aber es steckt ein künstlerisches Talent dahinter, das mich sehr beeindruckt. Ich bin sehr glücklich diesen Einblick in die Kameraarbeit und Ästhetik des Filmes bekommen zu haben und denke noch eine ganze Weile an diese inspirierende Begegnung.

12.02.19, Liv Thastum

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