Die Erklärung des Genozids in 90 Minuten?

Der Genozid in Ruanda im Frühjahr 1994 ist eines der schwersten Verbrechen der Menschheitsgeschichte.
Innerhalb von nur sechs Wochen wurden knapp eine Million Menschen ermordet, nein, abgeschlachtet.
Der Genozid war der Gipfelpunkt einer hundert Jahre andauernden Auseinandersetzung der Hutu und Tutsi.
Vereinfacht gesagt regierte traditionell die Tutsi-Adelsklasse und ließ die Hutu für sich arbeiten.
Doch erst später wurden die beiden großen Bevölkerungsschichten Ruandas als ethnisch unterschiedliche Bevölkerungsgruppen klassifiziert.
1897 wurde Ruanda nämlich kolonialisiert, und das ausgerechnet von Deutschland.
Von 1916 bis 1962 übernahm Belgien die Kontrolle. Anschließend wurde Ruanda unabhängig, naja, quasi unabhängig.
Denn der Einfluss der ehemaligen Kolonialherren setzte sich auf verheerende Art und Weise fort.

Zusammengefasst begründete sich der Völkermord an den Tutsi und moderaten Hutu vor allem auf der Bevorzugung der sowieso schon privilegierten Tutsi durch die europäischen Kolonialherren. Im Genozid waren aber auch andere afrikanische Länder, Interessengruppen und ehemalige Kolonialmächte involviert.
Einen kompakten und präzisen Überblick über die geschichtlichen Zusammenhänge bis hin zu aktuellen Entwicklungen findet ihr hier: https://www.liportal.de/ruanda/geschichte-staat/.

© Sophie Davin/Les Films du Tambour, Chapter 2

In „Notre-Dame Du Nil“ der diesjährigen Generation 14plus begibt sich Autor und Regisseur Atiq Rahimi in das Ruanda des Jahres 1973. Mit seinem auf einer Romanvorlage basierenden Film nimmt er sich Einiges vor.

Zu Beginn widmet sich der Film behutsam dem alltäglichen Geschehen in einem ruandischen Eliteinternat für Mädchen.
Und das hätte auch genügt, um die Spannungen zwischen Hutu und Tutsi zu beschreiben oder sogar zu versuchen, teilweise zu erklären. Doch der Film will mehr und fängt an, vom Ansatz her spannende aber viel zu komplexe Handlungsstränge anzufangen aber nicht auszuerzählen. Und das bei einer Gesamtlänge von gerade einmal 93 Minuten.

Relativ bald nimmt das Tempo rapide zu. Während ich noch dabei war, zu überlegen, was die visuell wunderschönen und manchmal sogar poetischen Ansätze zu bedeuten hatten, passierte schon das nächste Unglück.
Im Film spielt die Unterscheidung zwischen Hutu und Tutsi selbstredend eine zentrale Rolle, doch konnte ich diese recht schnell nicht mehr auseinanderhalten. Natürlich kann so etwas auch eine dramaturgische Strategie sein, doch hat es sich hier eher wie die Folge eines unfertigen Drehbuchs angefühlt.

Ich sehe die aktuelle Zunahme der durchschnittlichen Länge von Kinofilmen zwar kritisch, doch können manche Stoffe einfach nicht in 90 Minuten schlüssig erzählt werden.
Bei diesem so komplexen und heiklen Thema wäre auch eine inhaltliche Reduzierung sinnvoll gewesen. So blieben mir bei „Notre-Dame Du Nil“ am Ende mehr Fragen als Antworten.

Die Screenings von „Notre-Dame Du Nil“ auf der Berlinale:
Sa, 22.02. um 15:30 im Zoopalast 1
Mo, 24.02. um 17:00 im Cubix 8
Mi, 26.02. um 17:30 in der Urania
Do, 27.02. um 15:30 im Fimtheater am Friedrichshain

24. Februar 2020, Vincent Edusei

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