Die Sache mit dem Gendern – ein Kommentar

Früher habe ich mich immer gefragt: Wieso eigentlich? Wieso dieser ganze Aufwand mit dem Gendern? Schüler tut’s doch auch. Mich jedenfalls stört das nicht. Und überhaupt: „Schüler und Schülerinnen“ oder noch besser „SchülerInnen“ liest sich doch einfach nur sperrig. Wieso machen wir es uns so unnötig kompliziert?
Kompliziert? Schon. Unnötig? Keinesfalls. Sollte nicht eigentlich beleuchtet werden, warum das überhaupt notwendig ist? Sollte die Frage nicht sein: Wie kann es sein, dass eine Jugendliche sich daran stört, dass sie endlich auch als weibliche Person angesprochen wird?

https://media.istockphoto.com/photos/woman-with-a-symbol-for-gender-equality-picture-id836643116?k=6&m=836643116&s=612×612&w=0&h=awYGpEFGiEELXqOv_sUrMdDIx39w5_H59dhdSvcdSrA=

Zunächst zum Wesentlichen: Was ist eigentlich Political Correctness (PC) – und spezifischer noch das Gendern – und warum spalten sich an ihr die Geister?
Nach weitestgehender Übereinkunft (Merriam-Webster, 2020; bpb, 2010) handelt es sich bei der Political Correctness um das Bemühen, gewisse etablierte Begriffe oder Vorgehensweisen, die bestimmte Gruppen der Bevölkerung beispielsweise auf Basis des Geschlechts oder der Herkunft diskriminieren, aus dem allgemeinen Sprachgebrauch zu eliminieren oder entsprechend abzuändern. Das betrifft zum Beispiel die Inklusion des weiblichen Geschlechts oder auch die Wahrnehmung der „Gender Identity“.* (Siehe hierzu auch Johannas Artikel bezüglich der LGBTQ+ Terminologie). Aufgekommen ist der Begriff der Political Correctness erstmalig in den 1980er Jahren in den USA und hat seinen Ursprung in Antidiskriminierungsbestrebungen der Neuen Linken. Insbesondere Universitäten trieben die Bewegung damals voran. Mittlerweile ist Political Correctness weltweit verbreitet, jedoch auch stark umstritten (bpb, 2010).
Ausprägung findet PC dann im deutschen Sprachbild durch unterschiedliche Sprachkonstruktionen wie beispielsweise „Schülerinnen und Schüler“ (also mit Nennung der männlichen und weiblichen Form), „SchülerInnen“ mit Binnen-I oder „Schüler*innen“ mit sogenanntem Gendersternchen, um auch die Gender Identität bzw. das soziale Geschlecht miteinzubeziehen. Gleichzeitig kommen auch immer mehr neutrale Formen wie beispielsweise „Studierende“ im normalen Sprachgebrauch vor (bpb, 2010).
In unserem unmittelbaren Umfeld können wir PC unter anderem in Unisex-Toiletten wiederfinden, häufig auch als „genderneutrale Toiletten“ bezeichnet. Doch stellt sich hier die Frage, wie das ganze nun dargestellt werden soll: Bringt man die vorherrschenden Symbole von Mann und Frau nebeneinander an oder sollte vielleicht ganz auf derartige Schaubilder verzichtet und stattdessen Beschreibungen wie „Toilette mit/ ohne Urinal“ verwendet werden? Im Versuch, genderpolitisch korrekt zu sein, kombinierte das Landesarbeitsgericht in Berlin beispielsweise die vorherrschenden Symbole von Mann und Frau zu einer Person mit „halbem Rock“, was sofort auf Protest stieß, da dies auch als „nichts halbes und nichts ganzes“ interpretiert werden könne und demnach wieder diskriminierend sei (Tagesspiegel, 2017).
Allein aus dieser kleinen Abhandlung wird deutlich, dass durchaus Schwierigkeiten aufkommen können, wenn es darum geht, die so gut gemeinte Political Correctness umzusetzen. Und zu großen Teilen daraus speist sich der Unmut vieler, sobald der Begriff aufkommt.

Doch was genau sind die Sichtweisen, die sich hier gegenüberstehen?
Die Befürworter der Political Correctness sehen in ihr die gesellschaftliche Pflicht, sich über Diskriminierungen und Privilegien bewusst zu werden und unsere Sprache entsprechend anzupassen. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass Einstellungen und Handeln sich in tiefsten Strukturen der Gesellschaft wiederfinden und dass der Sprache hierbei eine wirkungsvolle Rolle zur Veränderung zukommt (bpb, 2010). Sprache befindet sich schließlich seit jeher im Wandel und darf auch angepasst werden, wenn gewisse Begriffe nicht mehr zeitgemäß sind. Beispielsweise wurde – aus gutem Grund – das N-Wort aus dem Deutschen Sprachgebrauch verbannt. Ähnlich verhält es sich bei Straßennamen kritisch zu betrachtender Persönlichkeiten (Süddeutsche 2017).
Beim Thema Sprachbeeinflussung wird auch gerne auf George Orwell und seinen Roman „1984“ verwiesen, in dem er kritisches politisches Denken durch eine neue reduzierte Sprache namens „Neusprech“ einschränkt. So ist der Staat in „1984“ der Ansicht, dass die Bürger*innen durch eine neue Sprache, in der gewisse Begriffe schlichtweg nicht existieren, verlernen kritisch zu denken, da ihnen – im wahrsten Sinne des Wortes – die Worte dafür fehlen. Dies nutzt die Regierung im Roman für ihre (zugegebenermaßen furchtbaren) Zwecke aus und eben darin nehmen PC-Kritiker*innen die Bedrohung der Meinungsfreiheit wahr. Doch betrachten wir das vielleicht einmal andersherum: Was ist, wenn unsere bisherige Sprache „Neusprech“ ist und wir dadurch eingeschränkt werden? Und wir uns ganz im Gegenteil von den Restriktionen dieser Sprache, sprich den Diskriminierungen, befreien müssen? Denn Ziel des Genderns ist es nicht, die Sprechenden einzuschränken, sondern ihnen im Gegenteil die Möglichkeiten von Vielfalt aufzuzeigen und von aktuellen Limitierungen zu lösen.
Neben dem Argument der Meinungsfreiheit berufen sich die PC-Kritiker*innen vor allem auf Umständlichkeit. Zusätzlich steht die Frage im Mittelpunkt, wer überhaupt festlegt, was genau politisch korrekt ist (Fluter, 2018). Ein weiteres Argument der Kritiker*innen ist, dass durch Sprachänderung allein kein gesellschaftliches Umdenken bewegt wird (bpb, 2010). Zudem seien manche Formulierungen beschönigend und würden von eigentlichen Ungleichheiten eher ablenken. Häufig fallen in diesem Kontext auch Sätze wie „Man darf ja gar nichts mehr sagen“ oder dass „man ja wohl mal einen Witz machen“ könne.
Einen besonders schönen Schlagabtausch könnt ihr hierzu auf Fluter finden, in dem meines Erachtens beide Seiten gut dargestellt sind.

Ihr dürftet euch mittlerweile denken können, auf welcher Seite der Debatte ich mich persönlich wiederfinde. Doch dem war nicht immer so. Lange Zeit habe ich dieser Diskussion vergleichsweise wenig Beachtung geschenkt und hatte eine recht unreflektierte Meinung.
Ich weiß, auf was für einem Minenfeld ich mich bewege. Dieses Thema polarisiert. Es ist kaum möglich, sich mit einem Text über Political Correctness zu befassen, ohne danach aufgebracht zu sein. Ein Blick in die Kommentarspalte eines jeden PC-Artikels und Urlaub fernab jeglicher Gender-Debatten wäre angebracht. Es frustriert mich so sehr, dass ich allein in Vorbereitung auf diesen Kommentar mehrfach Pausen einlegen muss, um mich wieder abzuregen. Es dauert etwas, bis ich ergründet habe, was genau diese Wut in mir auslöst. Es liegt nicht zwangsläufig daran, dass viele gegen PC sind. Es ist die Art und Weise, wie sie ihre Ansicht begründen. Oder dass sie sich scheinbar in ihrem ganzen Leben noch kein einziges Mal überlegt haben, wie es sich anfühlen könnte, nicht weiß und männlich und dadurch privilegiert zu sein. Diese Ignoranz ist es, die mich so überwältigt und frustriert.

Es gibt durchaus gute Argumente, gegen PC zu sein. Strukturiert legt Alexander Grau auf Fluter seine Sichtweise dar. Laut ihm handele es sich bei dieser Debatte in erster Linie um eine moralische Frage und was als moralisch korrekt erachtet werde. Er geht so weit und bezeichnet es als Ideologie einer privilegierten gebildeten Gruppe, die durch Sprachänderung totalitäre gesellschaftliche Umerziehung bewirken wolle. Auch wenn ich den Hintergrund der Sprachänderung für gerechtfertigt und wichtig erachte, so kann ich seinen Gedankengang nachvollziehen. Political Correctness ist oft mehrheitlich linker Natur. Je nachdem auf welcher Seite des politischen Spektrums wir uns persönlich wiederfinden, fällt die Zustimmung bezüglich der aktuellen Maßnahmen demnach anders aus.

Doch warum genau bin ich mittlerweile so eine starke Vertreterin des Genderns?
Mir geht es schlicht darum, Privilegien und jahrhundertelange Unterdrückung auch als solche anzuerkennen. Privilegien können Ursprung in Hautfarbe, Herkunft, Geschlecht oder anderen Dingen haben. Ob wir sie haben oder nicht, entscheidet sich bei unserer Geburt. Sie sind etwas, das mensch** entweder hat oder nicht hat. Wir haben keinen aktiven Einfluss auf sie. Wir tragen jedoch durchaus Verantwortung dafür, uns dessen bewusst zu sein. Und das bedeutet nunmal auch, einzusehen, dass die Gesellschaft seit jeher männerdominiert ist, was dazu führte, dass automatisch alle anderen Gruppen unterdrückt wurden. Mit der Political Correctness und dem Gendern wird versucht, sich dem Ziel der Gleichberechtigung aller Menschen anzunähern. Erst durch die explizite Erwähnung der weiblichen Form oder durch die Nennung einer neutralen Form fällt auf, wie tief verankert das Patriarchat ist.
In meinem Freundeskreis sind wir seit Kurzem dazu übergegangen uns gegenseitig darauf hinzuweisen. Und es ist erschreckend, dass wir es häufig selbst nicht einmal merken. Und das, obwohl wir selber alle Frauen sind.*** Und wenn es uns so geht, die wir uns als aufgeklärt und feministisch betrachten, wie soll es dann in der allgemeinen Bevölkerung ankommen, die sich vermutlich weniger mit Gender-Typisierungen und den vielschichtigen und unterschwelligen Unterdrückungen der Frau auseinandersetzen, denen sie tagtäglich ausgesetzt ist?
Am abartigsten finde ich an dieser Stelle das Argument man dürfe keinen Spaß mehr haben. Und dass man keine Witze mehr machen dürfe. Natürlich darf mensch noch Witze machen. Nur sollen sie bitte nicht gegen unterdrückte Gesellschaftsgruppen gerichtet sein. Denn was in der Gesellschaft als Witz empfunden wird, sagt enorm viel über sie aus. Hier finden sich die verankerten Stereotypen wieder. Solange Witze darüber gemacht werden, sind sie gesellschaftlich akzeptiert. Das ist bedenklich. Denn es zeigt, dass wir noch längst nicht so weit sind, wie wir es gerne glauben würden. Sicher, Frauen (und natürlich auch andere unterdrückte Gruppen) dürfen mittlerweile vieles, was vor hundert Jahren noch undenkbar war. Doch die meisten dieser Dinge waren offensichtliche Ungerechtigkeiten. Jetzt geht es darum zu erkennen, in welchen – zum Teil winzigen – Facetten des Alltags, sich die Diskriminierungen heutzutage abbilden. Und das zeigt sich eben auch im Gendern.

Ich kann mich hier noch weiter in Rage schreiben, aber belasse es jetzt dabei. Es ist vollkommen in Ordnung, Political Correctness aufwändig zu finden, denn das ist sie. Es ist nicht einfach und eine Menge kann dabei schief gehen. Aber das sollte uns doch nicht davon abhalten, uns zu bemühen. Veränderungen sind immer schwer. Das Rauchen im Flugzeug wollten sich die Menschen auch ungern verbieten lassen und mittlerweile ist es undenkbar, dass das je normal war. Zum großen Teil ist es einfach nur Bequemlichkeit, die uns im Weg steht. Lasst uns einfach immer wieder diese Fragen stellen: Warum stört uns PC in diesem Moment? Ist es vielleicht, weil uns dadurch bewusst wird, welche Privilegien wir besitzen und das unangenehm sein kann? Kann es sein, dass wir durch bestimmte Formulierungen wirklich einzelne Gruppen ausschließen oder unterdrücken? Und zu guter letzt: Ist die Formulierung, wie ich sie gerade benutze, möglicherweise überholt und stellt ein Gesellschaftsbild dar, wie es nicht mehr haltbar ist?

* Die Vielschichtigkeit des Themas Political Correctness ist mir wohl bewusst. Im Versuch, dies etwas abzugrenzen, spezialisiere ich mich hier auf Beispiele hinsichtlich des Feminismus und der Gleichberechtigung aller Menschen unabhängig ihrer sexuellen Orientierung, was unter den Überbegriff „Gendern“ fällt.
** „mensch“ ist eine Möglichkeit, „man“ zu umgehen.
*** Ja, ich habe auch männliche Freunde. Aus stilistischen Mitteln war das aber so sinnvoller.

Samstag, 22.02.2020, Sarah Gosten

  • Sarah

    Bereits als Kind besuchte Sarah mit ihrer Mutter und Schwester gemeinsam die Berlinale. Seitdem ist Berlinale Generation ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Im Rahmen des Berlinaleprojekts "Junge Journalisten" konnte sie erste Festivalluft schnuppern. 2013 gründete sie mit weiteren Berlinaleenthusiast:innen die freien Generation Reporter:innen. Außerhalb der Berlinale studiert Sarah aktuell im Master in Aachen, spielt E-Bass in einer Band und geht wahnsinnig gerne bouldern.

Schreibe einen Kommentar zu

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert