Wolfskinder

Eine Kritik zu Los Lobos

Eine Liebe zwischen einem großen und zwei kleinen Menschen, die ihr bestmögliches füreinander tun. Die drei mexikanischen Wölfe, die immer zueinander halten, die laut sind und nicht heulen, sondern beißen und sich wehren, wenn ihnen jemand etwas Böses will. Das sind „Los Lobos“.

© Octavio Arauz

Der Film erzählt auf eine rührende Weise, wie schwer es sein kann, sich in einem neuen Land zu integrieren, neu anzukommen und vor allem geduldig zu sein. Max und Leo wollen zur Schule gehen, sie wollen draußen mit den anderen spielen, die sie nur durch das Fenster der kleinen Wohnung beobachten können, aber vor allem wollen sie eines: „We want to go to Disney. One Ticket, please.“

Dieser Satz ist der erste, den sie auf Englisch lernen und verinnerlichen — denn es ist ihr größter Wunsch, ins Disneyland zu fahren. Sie wiederholen ihn immer wieder, wenn sie den ganzen Tag darauf warten, dass ihre Mutter, Lucía, von der Arbeit nachhause kommt.  Um ihnen die lange Wartezeit zu verkürzen, hat ihnen ihre Mutter eine Kassette aufgenommen, mit der sie Englisch lernen sollen. Wenn sie das ganze Alphabet aufsagen, die Lektionen aus dem Englischheft und nach einer Eintrittskarte fragen können, so die Abmachung, machen sie einen Ausflug ins Disneyland. So haben die Kinder ein Ziel, auf das sie Tag für Tag hinarbeiten können.

Eine Familie muss Opfer für einander bringen

Denn eine Familie zu sein bedeutet auch, Opfer für einander zu bringen. Die Kinder tragen ihren Teil dazu bei, indem sie Tag für Tag in der Wohnung ausharren und nicht nach draußen gehen und Lucía arbeitet von früh bis spät, um ihren Kindern ihr neues Leben in den USA zu ermöglichen.

Das lange Warten zwingt die beiden kleinen Kinder, ihre Kreativität spielen zu lassen. In ihrer verspielten, kindlichen Art denken sich die Geschwister Spiele zum Zeitvertreib aus. Die Schauspieler Maximiliano Nájar Márquez (Max) und Leonardo Nájar Márquez (Leo) bringen eine ganz eigene brüderliche Nähe auf die Leinwand, die daher rührt, wie im anschließenden Publikumsgespräch deutlich wird, dass die beiden tatsächlich Geschwister sind. Zuerst war ein anderer Junge als Bruder von Max vorgesehen, erzählt Regisseur Samuel Kishi Leopo, doch am Set überzeugte der kleine Leo die Filmemacher letztendlich, da er beim Schauspieltraining immer fleißig am Rand mitübte. Anfangs hätten sie Leo gar nicht in Erwägung gezogen, weil er so winzig war und sie ihn als viel jünger erachteten. Die Dynamik der beiden beim Spielen verzauberte den Filmemacher.

Als Ninja Wölfe gegen Bösewichte

Gemeinsam träumen die Geschwister im Film davon, Superhelden zu sein, verkleidet als Ninja Wölfe kämpfen sie Seite an Seite gegen Bösewichte. Die Phantasiefiguren malen sie an die Wände des Zimmers. In kurzen Sequenzen erweckt Regisseur Samuel Kishi Leopo die Zeichnungen zum Leben.

Die Mutter, Lucía, ist einfühlsam und zugleich sehr streng. Sie arbeitet in zwei Jobs, um ihrer Familie den Lebensunterhalt zu sichern. Auch wenn die drei durch die lange Abwesenheit der Mutter nicht viel Zeit miteinander verbringen, wird deutlich, wie eng, liebe- und vor allem respektvoll ihre Beziehung zueinander ist. Lucía stellt von Anfang an, Regeln auf, wie sich ihre Kinder in der neuen Umgebung zu verhalten haben. So dürfen sie die Wohnung nicht verlassen, müssen sich um einander kümmern, sich nach einem Streit umarmen und die Wohnung sauber halten. Ihre Mutter spricht die Regeln auf einen Kassettenrekorder, damit Leo und Max sie sich immer wieder anhören können. Erst, als Lucía Regel „numero 7: Nicht lügen“ aus Sicht von Max vermeintlich bricht, lässt auch er die Regeln außer Acht und verlässt die Wohnung, um mit den anderen Kindern in der Wohnanlage zu spielen.

Leo und Max freunden sich mit Mrs und Mr Chang, dem Vermieterehepaar, an, die gleich nebenan wohnen. Besonders Mrs Chang beginnt, zuerst eine sehr vorsichtige und dann eine tiefere Bindung zu den beiden aufzubauen. Sie kocht für sie und geht sogar an Halloween, verkleidet als Elton John, mit den Kindern „Trick or Treating“. Neben Lucía wird sie zur engsten Bezugsperson von Leo und Max.

„Eine Liebeserklärung an meine Mutter“

Los Lobos ist halbautobiographisch. Der Regisseur erzählt im Publikumsgespräch, dass er einmal ein Spiel gespielt hat, bei dem es darum ging, sich an Begegnungen aus der Kindheit zu erinnern. So durchlebte er die Zeit, in der er mit seiner Mutter und seinem Bruder in die USA eingewandert ist, erneut. Dort wuchs er in einem harten Viertel auf, so Samuel Kishi Leopo. Auch seine Mutter bespielte ihm und seinem Bruder Kassetten mit Liedern, Geschichten und Regeln, damit sie sich nicht zu sehr langweilten und sie vermissten, wenn sie auf der Arbeit war. Daraus sei seine Motivation für den Film entstanden. Los Lobos sei in erster Linie eine Liebeserklärung an seine Mutter.

Der Film lässt das Publikum sehr emotional und berührt im Kinosessel zurück. Der Applaus setzt erst einigen Sekunden verzögert ein. Los Lobos bildet Realität ab, die für die Familie von Lucía, Max und Leo und somit der Familie von Regisseur Samuel Kishi Leopo ein gutes Ende nimmt. Dennoch lässt er andere Schicksale nicht außen vor und bestärkt mit seiner Bestimmtheit und seiner Wucht, die Wichtigkeit und Notwendigkeit einer Familienbande und starken Zusammenhalts. Dafür bedarf es nicht sehr viele Familienmitglieder oder gar einer Vaterfigur. Lucía ist eine starke Frau, die ihre Kinder alleine versorgt.

Ausgelassen und fröhlich

Am Ende des Films haben sie es tatsächlich in einen Kindervergnügungspark geschafft. Zwar ist es nicht Disneyland, aber das ist Leo und Max vollkommen egal. Ausgelassen und fröhlich rennen die drei zu den Fahrgeschäften und genießen diesen ganz besonderen Tag. In der letzten Szene wird der Beginn des Films wiederaufgegriffen, in dem Lucía ihre Kinder fragt, was sie sehen, als sie das erste Mal in die USA reinfahren. Der jüngere Leo beschreibt mit sehr viel Phantasie seine Umgebung, während Max, der Ältere, nur mit „nada“, also „nichts“, antwortet. Diesmal aber endet der Film bevor Max auf die Frage seiner Mutter antwortet. Das lässt darauf schließen, dass Max sich mittlerweile mehr mit dem neuen Land identifizieren kann und mehr in ihm sieht, als zu Beginn.

26,02.2020, Vivien Krüger

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