Das Ungeheuer finden

Eine Kritik zu Almamula
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Almamula. Nach einer nordargentinischen Legende eine Frau, die ohne Reue lebte, Inzest betrieb und Sex mit Männern und Frauen aus ihrem Dorf hatte. Von Gott verflucht und in ein Ungeheuer in Gestalt eines Maultiers verwandelt, streift sie nachts durch den Wald und die Berge, fängt sündigende Menschen und tötet mit einem einzigen Tritt.

Der zwölfjährige Nino ist in seiner Heimatstadt in Nordargentinien homophoben Hänseleien ausgesetzt, weswegen seine Familie kurzerhand beschließt über den Sommer aufs Land zu ziehen, wo sein Vater einen Job als Waldarbeiter hat. Fernab von der Stadt und alten Freund:innen müssen sich Nino, seine Schwester Natalia und die Eltern in der ländlichen Hitze zurechtfinden. Doch zwischen schwitzigen Tagen am Pool und dem eintönigen Konfirmationsunterricht in der lokalen Kirche erzählt das Leben auf dem Land seine eigenen Geschichten. Ein geheimnisvoller und dunkler Wald, in dem ein Junge verschwunden ist – nach Gerüchten im Dorf zu Folge geraubt vom Ungeheuer Almamula, das ihn für seine Sünden bestraft hat. Angezogen von der Geschichte und dem Wald selbst erkundet Nino die Geheimnisse in diesem, seine Gefühle und Begehren und seinen eigenen Glauben.

Realität und Träume verschwimmend lässt Regisseur und Drehbuchautor Juan Sebastian Torales das Publikum ruhig und behutsam in Ninos Welt eintauchen. In seinen jungen Jahren schon der Grausamkeit der Intoleranz und homofeindlichen Gewalt ausgesetzt, versucht Nino sich selber zu finden und entdecken – nicht sicher wie er überhaupt fühlen darf und welche seiner Gedanken akzeptiert werden.

Torales, der die Geschichte in seiner Heimatstadt Santiago del Estero spielen lässt, wirkte bisher hauptsächlich an Dokumentarfilmen mit, und davon erkennt man auch viel in „Almamula“ wieder. Unglaublich geräuschintensiv und pur wird die Umgebung abgebildet, wodurch die trockene Hitze und die Geheimnisse und die Vielfalt des Waldes förmlich miterlebt werden. Über viele indirekte Kameraperspektiven wird Ninos Gefühlswelt an das Publikum vermittelt, sich seiner Gefühle und Begehren zwar bewusst, aber dennoch unsicher, ob diese valide sind und wem er sich anvertrauen kann.

„Almamula“ kommt ohne dramaturgischen Höhepunkt aus, die Erzählweise ist ruhig und mit wenig Spannungsmomenten. Diesen Aufbau eines Filmes muss man auf jeden Fall mögen, um von „Almamula“ in den Bann gezogen zu werden. Bei mir haben dies Regisseur Torales und der Cast, insbesondere Hauptdarsteller Nicolás Díaz, aber auf jeden Fall geschafft. Wer einen sanften, aber gleichzeitig intensiven Film über die Suche und Akzeptanz seiner selbst und seinem Glauben erleben möchte, ergänzt mit einer Prise nordargentinischer Mythen und Natur, sollte sich „Almamula“ in jedem Fall ansehen!

Weitere Screenings während der Berlinale:

So 19.02. 18:45, Cubix 8
Mo 20.02. 18:30, Filmtheater am Friedrichshain
Di 21.02. 15:30, Cineplex Titania
Fr 24.02. 13:00, Urania

18.02.2023, Clara Bahrs

  • Clara

    bezeichnet die Berlinale oft als 5. Jahreszeit. Während über das restliche Jahr Filme oft leider viel zu kurz kommen, sind die zehn Tage Berlinale dafür um so schöner, in denen man durch unterschiedlichste Filme im Generation-Programm Einblicke in Geschichten von jungen Protagonist:innen bekommt. Im mittlerweile sechsten Jahr mit den fGR freut sich Clara auf viele unvergessliche Filme, anregende Diskussionen, spannende Interviews und vor allem auf die einzigartige Berlinale Stimmung!

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