Unbekannte Freiheit

Eine Kritik zu Fighter

Jina (Lim Seong-mi) ist eine Kämpferin. Sie hat für ihre Flucht aus Nordkorea gekämpft, sie kämpft für ihren Vater, der noch immer in China ist, sie kämpft gegen ihre Gefühle gegenüber der Mutter, die sie in jungen Jahren in Nordkorea zurückgelassen hat, sie kämpft für ein besseres Leben in Seoul. Es scheint nur passend, dass sie im Boxkampf letztendlich ihre neue Leidenschaft findet. „Ein typischer Underdog-Film“, höre ich später. Doch für mich ist Fighter mehr als das.

Es braucht nicht erst die Mentorenfigur oder einen Geliebten oder den einen Schicksalsschlag, um Jina zu sich selbst finden zu lassen. Von Anfang an bleibt sie sich selbst treu, geht ihren Weg in ihrer eigenen Zeit, lässt sich nicht drängen, wehrt sich von vornherein, wenn ihr Unrecht geschieht, entscheidet frei, welche Ratschläge sie annimmt und wann. Ihre stille Natur wird durch die Abwesenheit von Musik untermalt. Der Stille wird Raum gegeben und nur in wenigen Momenten wird Musik eingesetzt, wobei der Film auch gänzlich ohne sie hätte auskommen können.

Was Fighter wie einen typischen Underdog-Film erscheinen lässt, kommt vermutlich durch immer wieder auftretende Feel-Good-Elemente. Dem Publikum wird geboten, was es sehen möchte – eine junge Frau, die sich nach Gerechtigkeit sehnt, sich verliebt, im Boxkampf gegen eine Mitstreiterin alles besiegen möchte, was diese versinnbildlicht – die Vorurteile von Südkoreaner*innen gegenüber geflüchteten Nordkoreaner*innen und Jinas finanzielle Situation, um nur einige zu nennen. Doch eben diese Feel-Good-Elemente führen immer wieder abrupt aber bestimmt zurück zur Realität. Denn der Kampf hört nicht auf, wenn du in den Ring steigst. Er fängt gerade erst an. Dessen ist sich Jina allzu sehr bewusst.

Fighter überzeugt nicht durch die Action, die man an jeder Ecke erwarten könnte. Jinas Schicksalsschläge werden vielfach nicht graphisch eingefangen. Der Blick bleibt auf sie gerichtet, auf ihre Reaktionen, darauf, wie sie mit den Situationen umgeht. Die Anfangsszene und eine Szene kurz vor Schluss zeigen: alles ist eine Frage der Perspektive. Eine Person mit Menschen um sich herum kann sich endlos allein fühlen. Eine Person, die allein wirkt, kann in Wahrheit von den Menschen umringt sein, die ihr am nächsten stehen.

Regisseur Jéro Yun gibt mit Fighter den Nordkoreaner*innen eine Stimme, die die Flucht aus ihrer Heimat wagen und schaffen. Unglaublich einfühlsam bleibt der Blick auf die Protagonistin gerichtet, die eine Bevölkerungsgruppe repräsentiert, die oft ihr ganzes Leben lang unsichtbar bleibt – in dem Regime, dem sie entkommen konnten, sowie in ihrer neuen Heimat, wo es schwierig ist, ein würdevolles Leben aufzubauen und nicht dauerhaft ausgenutzt zu werden. Es braucht keine schockierenden Bilder, um Jinas Situation klar zu machen. Manchmal ist das einzige, das nötig ist, einer betroffenen Person wirklich zuzuhören.

01.06.2021, Johanna Gosten

Bild: © Haegrimm Pictures

  • Johanna

    Johanna, 24, geht schon seit sie denken kann mit ihrer Schwester auf die Berlinale. 2013 wurde sie zum Gründungsmitglied der freien Generation Reporter:innen. Wenn sie nicht gerade über die Filme und Hintergründe des Generationprogramms schreibt, singt sie im Chor und verschlingt ein Buch nach dem anderen. Nebenbei studiert sie auch im Master Ernährungsmedizin in Lübeck.

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