Das Land der Möglichkeiten?

„We want to go Disney. One ticket please.“
– eine Kritik zu Los Lobos

Es ist die Hoffnung, die die Familie in die USA treibt. Die Hoffnung auf ein besseres Leben, weniger Gewalt, weg vom Vater. Eine Mutter mit ihren zwei Söhnen, die sich fortan die Zeit allein in einem heruntergekommenen Zimmer vertreiben müssen.

Samuel Kishi Leopo erzählt mit Los Lobos die Geschichte seiner eigenen Kindheit, hinterlegt mit der Musik seines Bruders. Die Brüder Maximiliano und Leonardo Nájar Márquez legen eine unglaubliche Performance ab. Durch die familiäre Atmosphäre am Set und die Improvisation von Martha Reyes Arias, die die Mutter spielt, fällt es den beiden nicht schwer, sich völlig natürlich zu verhalten. Ein Drehbuch gab es zwar, allerdings diente das mehr zur Festlegung der Handlung als für die Dialoge, da Martha den beiden Jungs beim Dreh sämtliche Freiheiten gab und sich dem anpasste und die Anweisungen von Samuel nicht nur selbst umsetzte, sondern auch auf die beiden Jungs übertrug.

Die Begeisterung des Publikums ist von der ersten Sekunde an zu spüren. Die Urania ist voller Schulklassen, die das Filmteam bereits mit tosendem Applaus und Gekreische empfangen. Während des Filmes wird in jeder Szene mitgefiebert. ”Nicht rausgehen!”, ”Tu das nicht!”, ”Oh nein!”, tönt es durch den Saal. Allgemeines angespanntes Atemholen oder erleichtertes Aufatmen. Das Publikum reagiert wie eins, es ist als würden wir alle uns in das Einzimmerapartment quetschen und hautnah mit dabei sein.
Ein schwieriges und komplexes Thema wird für die Altersgruppe gerecht aufgearbeitet und auf bezaubernde Art und Weise vermittelt. Der Applaus am Ende des Filmes übertönt sogar noch den vom Anfang.

Beim ersten Lesen der Filmbeschreibung stellte ich mich auf bedrückende Szenen ein, auf ein beklemmendes Gefühl, wie es beispielsweise Yalda in mir ausgelöst hat. Aber Los Lobos hat eine Leichtigkeit, die ich nicht erwartet hätte. Eine schwierige Lebenssituation wird aus den Augen von zwei Kindern eingefangen, die letztendlich doch nicht so viel anders sind als Kinder in sämtlichen anderen Teilen der Welt. Sie spielen, streiten sich, wollen nicht die Regeln befolgen. Disneyland ist der große Traum. Obwohl Generation ausschließlich Filme mit Kindern als Hauptdarsteller/innen zeigt, ist es doch regelmäßig der Fall, dass die Zielgruppe nicht wirklich Kinder sind. In dieser Hinsicht hat Samuel Kishi die Gratwanderung zwischen Unterhaltung und Aufklärung wundervoll gemeistert. Die privilegierten Kinder, die während eines Schultages einen Ausflug machen, um zur Berlinale gehen, fühlen sich sofort mit den beiden Brüdern verbunden. Wieviel Reflexion im Anschluss noch stattfindet, kann ich natürlich nicht wissen. Aber es ist ein tröstliches Gefühl, zu wissen, dass etwa 800 Kinder über ihren Tellerrand hinausgeblickt haben und nun vielleicht aufhorchen, wenn sie von den Detention Camps in den USA hören, in denen Kinder wie Leo und Max von ihren Eltern getrennt und festgehalten werden. Kinder, die sich nur darin von ihnen unterscheiden, dass sie woanders geboren worden sind.

Los Lobos ist für jung wie alt geeignet. Für jede und jeden, die sich in eine Familie hineinversetzen möchte, die sich genau so lieb hat wie Familien hier, die zusammenhält und die Hoffnung auf ein besseres Leben nicht aufgibt und es dennoch so ungleich viel schwerer hat.

Weitere Vorführungstermine:
Di, 25.02. 14:00 Uhr, Zoo2
Mi, 26.02. 09:30 Uhr, Filmtheater am Friedrichshain
Do, 27.02. 14:00 Uhr, Cubix 8
So, 01.03., 14:00 Uhr, CinemaxX 1

25.02.2020, Johanna Gosten

  • Johanna

    Johanna, 24, geht schon seit sie denken kann mit ihrer Schwester auf die Berlinale. 2013 wurde sie zum Gründungsmitglied der freien Generation Reporter:innen. Wenn sie nicht gerade über die Filme und Hintergründe des Generationprogramms schreibt, singt sie im Chor und verschlingt ein Buch nach dem anderen. Nebenbei studiert sie auch im Master Ernährungsmedizin in Lübeck.

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